Potenziale der Zusammenarbeit

Gespräch mit Sabine Popp, Julia Dorothea von Schottky und Markus Schwander

JULIA Dorothea VON Schottky

In meiner künstlerischen Arbeit suche ich immer wieder den Austausch mit anderen. Eine Arbeit beginnt oft mit der Frage nach einem Phänomen, wie zum Beispiel den Wirkstoffen der Birke. Dafür suche ich dann den Austausch mit Personen, die sich mit den jeweiligen Bereichen beschäftigen. Der Blick von außen ist eine Bereicherung, sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Umsetzung einer Arbeit.

 

Sabine Popp

Ich fühle mich eher im Dialog zu Hause. Damit verbinde ich eine größere Offenheit und weniger Erwartungen als bei einer Zusammenarbeit. Dialog hat weniger Zielgerichtetheit, während eine Zusammenarbeit eher auf Resultate abzielt. Wenn ich behaupte, mit anderen zusammenzuarbeiten, schließen wir gewissermaßen einen Pakt, gehen eine gegenseitige Verpflichtung ein. Eine entscheidende Kraft in einem solchen Pakt ist die grundlegende wechselseitige Neugierde.

 

Markus SCHWANDER

Wenn mit „Zusammenarbeit“ alle Formen von Arbeit in Interaktion mit anderen Menschen gemeint sind, arbeite ich in meinem Alltag öfter „zusammen“ als „alleine“.

Bei dieser Zusammenarbeit nehme ich unterschiedliche Rollen ein.

Diese sind durch den Kontext geprägt – auch Unterrichten ist eine Form der Zusammenarbeit – oder dadurch, wie Entscheidungen getroffen werden.

 

JULIA Dorothea VON SCHOTTKY

Deshalb ist die Zusammenarbeit mit einer größeren Gruppe auch immer eine besondere Herausforderung, vor allem bei gleichem Stimmrecht. Der Austausch und die Diskussionen bis zum gemeinsamen Konsens brauchen einfach viel Zeit.

Hinzu kommt die Frage nach der Verantwortung: Wer übernimmt welche Bereiche der Ausführung?

©Lutz Bertram   Markus Schwander, Sie sahen nichts, 2020-2021, Ausstellungsansicht ZAK-Zentrum für Aktuelle Kunst Zitadelle Spandau, 2021

SABINE POPP

Es gibt so viele verschiedene Arbeitsweisen, wie es Teilnehmer*innen in einer Gruppe gibt. Selbst wenn wir von einem geteilten Verständnis bestimmter Aspekte ausgehen, ist ein ständiges neues Verhandeln von Begriffen nötig, um nicht aneinander vorbeizureden und zu handeln.

 

 

Diese Verhandlungen sind für mich nötige Dehn- und Gymnastikübungen, um in meinem Denken flexibel zu bleiben.

links ©Friedhelm Botsch, rechts ©Pia vom Ende   Sabine Popp, Performance Common Notions (confusion resumes outside a few squaremeters)2021, ZAK-Zentrum für Aktuelle Kunst Zitadelle Spandau

Julia Dorothea Von Schottky

In feldern haben wir den Versuch gestartet, als Kollektiv und zugleich als Individuum zu agieren. Dabei gab es einen großen Unterschied zwischen dem gemeinsamen Arbeiten im Raum und der Zusammenarbeit im Digitalen. Die Zusammenarbeit im physischen Raum ergab sich oftmals ohne große Worte, wie zum Beispiel die Übung zur Schwarmintelligenz bei unserem ersten gemeinsamen Experiment.

 

SABINE POPP

Die Schwarmintelligenzübung ist ein gutes Bild für das gemeinsame Tun im physischen Raum: Wir bewegten uns in der Gruppe durch den Raum wie ein Schwarm Stare in der Luft – den Impuls der Richtungsänderung gab ständig ein*e andere*r, ohne Absprache, nur durch Körperbewegung und teils Blickkontakt

 

Es passierte einfach.

JULIA Dorothea VON Schottky

So war auch unser gemeinsames Tun im Ausstellungsraum. Wir pendelten uns beim Aufbau gemeinsam im Raum ein und agierten ohne Worte, wie ein zusammenhängender Organismus. Die lange Periode der Zusammenarbeit via Zoom oder Skype war hingegen vor allem durch verbalen Austausch und Diskussionen geprägt.

 

Sabine Popp

Dass etwas einfach so passiert, fehlt mir sehr im digitalen Raum. Wir haben zwar Ansätze ausprobiert, um etwas Ähnliches zu erzeugen, ich kann aber nicht einschätzen, ob das so viel schwerer war, weil wir Technologie nicht ebenso unbekümmert wie Materialien im Raum angewendet haben oder weil Körpersignale fehlten.

 

Markus SCHWANDER

Am wichtigsten ist mir das „zusammen Tun“. Dies unterscheidet sich vom zusammen planen oder dem Austausch im Gespräch. Bei dieser spezifischen Zusammenarbeit dreht es sich vielmehr darum, sich beim gemeinschaftlichen Handeln kennenzulernen und Vertrauen zu schaffen. Dazu praktizierten wir eine Woche lang gemeinsame Übungen, bei denen wir zum Beispiel zu zweit oder als Gruppe gemeinsame Zeichnungen anfertigten. Aus diesen verabredeten Handlungen entwickelten sich Ideen für die Veränderung des Ausstellungsraumes durch zusätzliche Pfeiler Im Raum. Bei einer anderen gemeinsamen Aktion warfen wir feuchten Ton auf die Wände des Ausstellungsraumes. Dazwischen verabredeten wir uns laut meinem Kalender in etwa 18 Monaten vierzigmal per Zoom. In und zwischen diesen digitalen Sitzungen besprachen wir viel Organisatorisches, machten aber auch verschiedenste digitale Dehn- und Gymnastikübungen.

 

 

© Lutz Bertram   Gemeinschaftsarbeit Katrin von Lehmann, Nicole Schuck, Sabine Popp, Markus Schwander, Julia von Schottky

Sabine Popp

Das Zusammen Tun und Handeln adressiert Prozesse und Dynamiken und ähnelt dem Idealbild vom gemeinsamen Flow, der mit Musik auf der Tanzfläche stattfindet. Unser Tun im Raum involvierte immer auch Materien und Körper, die verschoben werden. Das führt nur bis zu einem gewissen Grad zu einem gegenseitigen Verstehen. Es ist vielmehr eine Annäherung an etwas Drittes.

 

 

Die Aufmerksamkeit verteilt sich, ist nicht so sehr auf den/die andere/n gerichtet, hat keinen starren Fokus und kann etwas bislang Verborgenes freisetzen.

MARKUS SCHWANDER

Sabine, du sprachst von einer grundlegenden wechselseitigen Neugierde. Ich verstehe das als die Neugier in Bezug auf die Arbeit der anderen. Für mich war die Frage nach den Entwicklungsmöglichkeiten des Prozesses wichtiger als die Ideen jedes/r Einzelnen. So richtete sich mein Interesse in der Woche, als alle Beteiligten je einen Tag Verantwortung und Führung übernahmen, weniger auf die jeweils verantwortliche Person und deren Absichten als vielmehr darauf, wie die Aktionen die Gruppendynamik veränderten und wie dieser Fluss gemeinsam gelenkt werden könnte.

 

SABINE POPP

Wie in allen kollektiven Prozessen stellt sich immer die Frage nach der Entscheidungsfindung. Wie viele Kompromisse sind einzugehen, um Stagnation zu verhindern? Wird der Wunsch nach Vertiefung spezifischer Fragestellungen gegebenenfalls vertagt? Müssen bestimmte Experimente womöglich zu einem anderen Zeitpunkt oder an einem anderen Ort stattfinden?

Demokratische Entscheidungsfindungen können Prozesse so weit verlangsamen, bis niemand mehr weiß, worum es eigentlich geht.

Es treten Ermüdungserscheinungen auf. Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner birgt auch die Gefahr, den Faden zu verlieren und oder die Thematik zu verwässern.

 

JULIA Dorothea VON SCHOTTKY

Als Markus davon erzählte, dass er im Alltag eigentlich ständig zusammenarbeite, habe ich mich gefragt, ob es überhaupt Momente des Nichtzusammenarbeitens gibt. Wenn wir zum Beispiel unsere eigenen Körper betrachten: Nahezu die Hälfte des menschlichen Körpers besteht aus nichtmenschlichen Zellen. Mikroorganismen – sogenannte Mikrobiome – besiedeln Haut, Darm, Mund, Atemwege und den Urogenitaltrakt. Sie bestehen aus Viren, Bakterien, Parasiten und Pilzen, ohne die wir nicht leben könnten und deren Zusammenarbeit sowohl für die Gesundheit als auch bei der Entstehung und Therapie von Krankheiten eine entscheidende Rolle spielt. Das erinnert mich auch an unseren Diskurs zu der Endosymbiontentheorie von Lynn Margulis.

 

Sabine Popp

Mich hat der Film über sie verblüfft, weil er die Verflechtung von naturwissenschaftlichen Theorien mit sozialpolitischen Fragen deutlich macht. Lynn Margulis hat mit naturwissenschaftlichen Argumentationen belegt, wie wichtig Zusammenarbeit ist, anstatt an dem Recht des Stärkeren als Grundprinzip der Evolution und Entwicklung festzuhalten.

 

Markus Schwander

Dabei wird auch die Idee infrage gestellt, dass Konkurrenz zu besseren Ergebnissen führt. Die verstärkte Beachtung des Verbindens, welches Lynn Margulis bei den Bakterien und Pilzen findet, schafft ein anderes Bild. Hierbei sind konkurrierende Verhaltensweisen wohl eher die Ausnahme, weil sie viel Aufregung verursachen und eher wenig zum Ergebnis beitragen.

 

Sabine Popp

Die Beobachtung von Lynn Margulis trifft auch auf unser Experiment zu:

Zusammenarbeit als eine poetische Erzählung von Zufällen, die durch bloße Nähe möglich wurden und plötzlich etwas entstehen lassen, was vorher nicht da war.

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