Die Betrachtenden machen die Kunst.

Laut Duchamp sind Künstler*innen Menschen wie alle anderen auch: Sie machen gewisse Sachen, aber auch Geschäftsleute machen gewisse Sachen. Insofern kann sich künstlerische Praxis in vielerlei Medien und Formaten manifestieren. Für Markus Strieder ist die Kunstvermittlung ein wichtiger Teil seiner künstlerischen Praxis. Denn hier machen alle Mitwirkenden gemeinsam das Werk.

Wir wissen spätestens seit Duchamp, dass künstlerische Praxis in vielerlei Formaten auftreten kann. Wie verstehst Du dein Kunstschaffen? Und wie sieht das konkret bei Dir aus?

 

Für mich ist das Kunstmachen zuallererst eine Haltung, dann eine Form des Denkens, die mich sehr interessiert. Eine Möglichkeit, Inhalte zu formulieren, und eine Möglichkeit der Mutmaßung. Wenn Kunst von Können käme, könnte dann nicht sein dass ….? Eine Art der Forschung. Womit um alles in der Welt haben wir es bei der Welt eigentlich zu tun? Wahrnehmen wahrnehmen. Wirklichkeit = wie es wirkt.

 

 

Kunst ist für mich eine Dauerrückkopplung, ein Pingpong zwischen Formulieren und Wahrnehmen, Formulieren und Wahrnehmen, Formulieren und Wahrnehmen.

Ich formuliere etwas in dem einem bestimmten Inhalt vermeintlich entsprechenden Medium/Format und schaue mir an, was das lostritt. Ich bezeichne mich vor allem in einem für mich wesentlichen Punkt als Duchampianer: Die Betrachtenden machen die Kunst. Kunst ist für mich nicht ein Kunstwerk allein – das ist meist nur eine physische Anwesenheit, die Naturwissenschaftler besser beschreiben können.

Kunst ist ein Vorgang: das, was passiert, wenn ein Mensch ein Kunstwerk betrachtet.

Das ist die Kultur daran. Das Kunstwerk ist also nur ein Katalysator für den Vorgang Kunst oder Kultur. Der Betrachtende kann ich (in dem Fall der Künstler selbst) sein oder jede*r andere Betrachtende. Wobei es naheliegend ist, dass ich mir bei diesem Vorgang als Autor mit meiner ursprünglichen Idee zu dem Kunstwerk selbst eher im Weg stehe. Mir fehlt die Neutralität für ein schaffendes Betrachten. Es ist also eine Eigenlogik, dass die Kunst im Wesentlichen von den anderen Betrachtenden gemacht wird. Das passt für mich als Autor aber sehr gut. Ich langweile mich nicht nur, wie Monsieur Duchamp, mit meinem eigenen Geschmack, sondern auch mit meinen eigenen Ideen.

 

Ist das auch der Grund, warum du dich so für die Kunst anderer begeistern und das gesamte Umfeld mit deiner Begeisterung mitreißen kannst?

 

Puh, hahaha. Es würde mich zumindest freuen, wenn das so wäre. Ich liebe es, etwas Anregendes zu sehen, das eine Frage, eine Vermutung, ein „Wow, würde das nicht bedeuten, dass …?“ bei mir auslöst. Etwas, das ich zunächst so nie selbst formulieren würde. Das passiert mir oft bei Kunstwerken. Aus irgendeinem Grund springe ich scheinbar eher auf bildende Kunst an als auf andere Kulturtechniken.

© Birgit Effinger   Markus Strieder im Gespräch mit Studierenden des Lette Vereins im Hamburger Bahnhof-Museum für Gegenwart-Berlin

Neben der unmittelbaren Anwesenheit, die eine eigene Qualität hat, etwas, das man als „Aktuales“ bezeichnen könnte, liebe ich es zu versuchen, das sich Ereignende zu versprachlichen. Das begreife ich als einen sich ereignenden Übersetzungsprozess: Ich versuche, das Aktuale in Sprache zu übersetzen. Wie bei jeder Übersetzung bedeutet das, genaue Wörter zu suchen, präzise zu übersetzen, verschiedene Wörter auszuprobieren, um dafür eine sprachliche Umschreibung zu finden.

 

Die Mitte, das Kunstwerk selbst, bleibt leer. Es ereignet sich und ist eben etwas anderes als seine sprachliche Übersetzung.

Ich bin ein sehr sprachlicher Mensch, aber ich schreibe nicht gerne. Mir ist das Sprechen näher, weil es näher am Denken ist und genauso flüchtig. Sprechen ereignet sich, Schreiben statuiert (wenn man es nicht als Kunst betreibt, die wieder Katalysator ist). Deswegen ist die Kunstvermittlung für mich so ein wichtiger Teil meiner künstlerischen Praxis. In der Vermittlung machen wir mit Betrachtenden gemeinsam das Werk.

 

 

Der Prozess des Betrachtens ist das schaffende Moment.

Die ganze Dynamik des Gesprächs ist für mich dabei die ideale Form des sprachlichen Denkens. Ich muss beim Sprechen besonders präzise werden, um meine Gedanken vermitteln zu können. Das Feedback der anderen, ihr Verstehen, manchmal ihr konstruktives Missverstehen, das ganze Pingpong der gemeinsamen Versprachlichungen bilden den Prozess, in dem das Werk für diesen Moment entsteht. Andere Menschen denken. Gedanken, die ich fassen kann, weil andere sie gedacht und mit mir geteilt haben. Gedanken, Vermutungen, Ideen sind nicht da. Sie konstituieren sich beim Denken, Vermuten, Ideenhaben oder -nachvollziehen. Sie ereignen sich. Genauso, wie ein Kunstwerk sich ereignet, wenn es jemand wahrnimmt.

 

 

Das Pingpong zwischen einem Werk und den in seiner Anwesenheit sich ereignenden Gedanken ist es, was mich anregt.

Ich freue mich, wenn sich meine Begeisterung für diese Vorgänge überträgt. Ohne ein Gegenüber gäbe es diesen Prozess nicht. Am Ende sind Kunstvermittlung als gemeinsames Wahrnehmen, das Sich-ereignen-Lassen eines Werkes und das konventionelle Schaffen eines Werkes, das In-die-Welt-Setzen als sein Autor, ein und derselbe Prozess.

 

 

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