Was nimmt Einfluss auf eure Arbeitsprozesse?

Gespräch mit Daniel Bonaudo-Ewinger, Aneta Kajzer, Marta Vovk

Birgit Effinger

Der Ausstellungstitel SPITTING DIAMONDS bezieht sich dezidiert auf eure künstlerischen Arbeitsprozesse. Diese spielen sich wie das Wachstum von Diamanten zunächst im Verborgenen ab. Wie verlaufen eure Arbeitsprozesse und inwiefern spielen dabei unvorhergesehene Überraschungen eine Rolle?

 

Aneta Kajzer

Unvorhergesehene Überraschungen sind ein essenzieller Teil meines Arbeitsprozesses. Ich starte ohne vorgefertigte Ideen und Skizzen auf der leeren Leinwand und bin auf Zufälle und Überraschungen geradezu angewiesen.

Der Verlauf der Farbe entscheidet, wo es hingeht, welche Assoziationen sich bei mir auftun, an denen ich mich orientiere und auf deren Grundlage ich letztlich meine malerischen Entscheidungen treffe.

Ein zufälliger Farbspritzer kann dann schon mal zu einem Auge werden, eine große, runde Pinselbewegung zu einem Gesicht, eine dunkelblaue Farbfläche zu einem Nachthimmel. Zufälle sind für meine Arbeit fast genauso wichtig wie bewusste Setzungen. So bleibt die Arbeit auch immer spannend für mich selbst.

 

Marta Vovk

Meine Arbeitsweise ist während des Malvorgangs weniger von Intuition und Zufall geprägt. Meine Malerei lebt auch von ihren grafischen Elementen und klaren Kanten, die es mitunter schwer machen, den malerischen Strich und Duktus zu finden. Sie erfordert Organisation und Planung.

 

Daniel Bonaudo-Ewinger

Bei mir wandelt sich der Arbeitsprozess ständig, und er ist eng an meine Lebensumstände gekoppelt. Ich bin nach dem Diplom an der Weißensee-Kunsthochschule von Berlin in die südpfälzische Provinz gezogen. Diese Verlagerung hat viel verändert.

 

Birgit Effinger

Übt der Ort auch einen Einfluss auf Dich aus?

 

Daniel Bonaudo-Ewinger

Die Ateliers an der Kunsthochschule oder in einer Fabrik in Berlin-Weißensee boten mit ihren großen Fenstern und hohen Decken ein ganz anderes Arbeitsumfeld als das 300 Jahre alte Bauernhaus mit seinen baufälligen Scheunen, in dem ich jetzt arbeite. Schon die Wege zum Atelier unterscheiden sich gravierend: in der Pfalz fünf Minuten mit dem Fahrrad durchs kleinstädtische Leben, in Berlin mit Bus und U-Bahn von Neukölln über Kreuzberg und Alexanderplatz in Richtung Norden.

 

© Kevin Fuchs   Daniel Bonaudo-Ewinger, o.t. (Klassenscham),2021, Ol und Lack auf Leinwand, 90 x 75 cm

Die vielen Menschen und die Geschwindigkeit beeinflussten mich in Berlin sehr stark. So habe ich 2018 großformatige Malerei gemacht, zum Beispiel „Gassi gehen, WhatsApp schreiben, Sorgen haben, über Malerei nachdenken“, die ohne diese Wege nicht so entstanden wären. Ich bin mit der gleichen Geschwindigkeit an die Leinwand gegangen, wie ich mich zuvor durch die Stadt getrieben habe. Mit dem gleichen Gefühl. Die immer wiederkehrenden Pinselstriche verdichteten sich im Laufe des Arbeitsprozesses zu einer flirrenden Fläche.

 

Birgit Effinger

Ist das jetzt anders?

 

Daniel Bonaudo-Ewinger

Ich stelle meine Arbeiten viel stärker in biografische und gesellschaftspolitische Kontexte und thematisiere die Auswirkung der sozialen Herkunft.

 

 

Dazu habe ich ein Archiv mit Notizen, Fotos und Objekten angelegt und frage mich, welche Haltung ich in und mit meiner Arbeit einnehmen und vermitteln will.

Das ist für mich in letzter Zeit bei all den gesellschaftlichen Problemen und Krisen viel wichtiger geworden.

 

Marta Vovk

Ich mache erst mal Studien und schaue, ob ich tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielen und die Arbeit so umsetzen kann, wie sie intendiert war. Gerade bei Arbeitsideen, die mit Bildbearbeitungsprogrammen erstellt wurden, ist es enorm wichtig, flexibel auf das Ergebnis auf der Leinwand eingehen zu können und den Plan im Zweifelsfall über Bord zu werfen oder eine andere Richtung einzuschlagen. Nicht alle Bilder und Kompositionen lassen sich 1:1 auf ein variables Format aufblasen und/oder in physische Malerei übersetzen.

 

Aneta Kajzer

Während des Malprozesses ist eigentlich kein Platz für ablenkende Gedanken, Erwartungen oder Ähnliches. Da fühle ich mich in der Regel sehr frei, was ja auch das Schöne an meiner Arbeit ist.

Trotzdem ist man im Atelier nicht in einem kompletten Vakuum, und Stress und Termindruck bleiben auch hier nicht vor der Tür.

© Kevin Fuchs   Daniel Bonaudo-Ewinger, Aneta Kajzer, Marta Vovk, Hintergrund: Marta Vovk, Klassenkampf, 2019

Daniel Bonaudo-Ewinger

Die äußeren Rahmenbedingungen hatten auf mich schon immer einen großen Einfluss. Ich komme aus einem nichtakademischen Umfeld. Künstler zu werden war für mich also nie eine Option.

 

Nur 1 % aller Nichtakademikerkinder schaffen laut einer Statistik den höchsten Studienabschluss.

Das zeigt den Einfluss der äußeren Umstände ganz gut auf. Wie stark diese Bedingungen letztendlich in ein konkretes Kunstwerk oder die künstlerische Arbeit einfließen, ist natürlich nicht dezidiert zu beantworten. Nach dem Habituskonzept von Bourdieu ist uns die soziale Herkunft in den Körper eingeschrieben und beeinflusst unsere Bewegung, unser Denken, Aussehen und die Entscheidungsfindung. Vielleicht ist schon die Art und Weise eines Pinselstrichs von diesen Umständen geprägt.

 

Aneta Kajzer

Ich bin derzeit in der privilegierten Situation, von meiner Arbeit leben zu können, und daher sind meine Bedingungen gerade sehr gut. Ich kann mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren, ohne wie am Anfang Zeit und Energie für Nebenjobs aufbringen zu müssen. Das war nicht immer leicht. Durch einen persönlichen Kontakt habe ich nach langer Suche auch ein schönes Atelier mit großem Lager gefunden. Das hat meine Arbeitsbedingungen wesentlich verbessert und war ein großes Glück. Das Netzwerk ist bei diesen Dingen sehr wichtig.

 

 

© Kevin Fuchs   Aneta Kaizer, Ausstellungsansicht SPITTING DIAMONDS, rk-Galerie im Rathaus, 2021

Marta VovK

Let’s talk about money. Klassismus spielt sowohl in meinem Alltag als auch in der Beschäftigung mit meiner Künstler*innen-Persona eine entscheidende Rolle. Mich erstaunt immer wieder, wie wenig Awareness einige in der Kunst beheimatete Personengruppen, aber auch künstlerische Institutionen im Hinblick auf Privilegien und soziale Ungerechtigkeit haben. Schließlich haben diese ganz offensichtlich einen direkten Einfluss auf die künstlerische Praxis. Begonnen bei der Wahl der Arbeitsräume über zeitliche Ressourcen für die Kunstproduktion und nicht zuletzt die psychosoziale Komponente: einen beruflichen Werdegang einzuschlagen, der weder Langfristigkeit noch festes Einkommen garantiert.

 

 

Für mich haben monetäre Verhältnisse und soziale Herkunft einen direkten Einfluss auf die künstlerische Entwicklung.

Ich denke das in meiner Arbeit und in meinem Alltag als Künstlerin immer auch mit. Natürlich bin ich mir des Privilegs bewusst, in einem Erste-Welt-Land die Möglichkeit zu haben, Kunst auszuüben. Ich finde es dennoch wichtig auszusprechen, dass wir in der Art Bubble einer gewissen sozialen Selektion ausgesetzt sind. Es ist eine Art Exklusivklub, der für manche Menschen weniger gut zugänglich ist als für andere.

 

Daniel Bonaudo-Ewinger

Beim Kunstmachen muss ich immer strukturiert, organisiert und diszipliniert vorgehen. Atelierarbeit ist dann möglich, wenn ich es mir leisten kann, wie jetzt mit einem Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds. Damit schaffe ich mir Freiräume für prozesshaftes und intuitives Arbeiten. Beim Arbeiten an der Leinwand ist es wie bei Aneta. Ich fokussiere mich stark auf das Malen und auf das, was dabei passiert. Alles andere ist in dieser Situation idealerweise ausgeblendet. Ich bin froh, dass ich die Fähigkeit habe, mich stark zu konzentrieren.

 

Birgit Effinger

Wie ist Euer Umgang mit unausgesprochenen Erwartungen?

 

Aneta Kajzer

Die größten Erwartungen hat man als Künstlerin an sich selbst. Ich will die Arbeit ja stetig vorantreiben und besser werden, und die nächste Ausstellung soll immer noch überzeugender werden als die vorherige. Natürlich kommen Erwartungen von außen dazu, aber die versuche ich aus der Arbeit rauszuhalten.

 

Daniel Bonaudo-Ewinger

Ich hatte besonders in Berlin das Gefühl, von Möglichkeitsblasen umgeben zu sein. Ständig bekommt man suggeriert, in der nächsten Sekunde könnte etwas Großes passieren, und viele Akteure spielen auch gerne mit diesen Hoffnungen. Dabei wird ausgeblendet, dass nur wenigen der ganz große Durchbruch bevorsteht und vieles von Kontakten abhängt.

 

Marta Vovk

Ich weiß nicht, ob es möglich ist, den Aspekt der Erwartungen komplett auszublenden.

Das Bild der Künstler*in im Elfenbeinturm, die*der komplett von der Außenwelt abgetrennt an ihren Bildern pinselt und werkelt, hat mit der Realität des Berufes nichts mehr zu tun.

Meine Arbeit ist ohnehin sehr referenziell, nimmt Bezug auf Dinge, die mich umgeben und beschäftigen. Ich thematisiere in meinen Arbeiten meine Vergangenheit, aber auch Moden und Trends, den Zeitgeist; da wäre es unmöglich, mich nicht in eine Auseinandersetzung mit der Außenwelt zu begeben und mich von der Beeinflussung durch Erwartungen komplett freizusprechen.

 

Aneta Kajzer

Erwartungen spielen natürlich eine gewisse Rolle. Bei Atelierbesuchen muss man sich auch mal Kritik aussetzen. Und natürlich kann man keine Ausstellungen zusagen und kurzfristig wieder absagen, weil man nicht fertig wird. Da haben Galerist*innen und Kurator*innen verständlicherweise die Erwartung, dass man liefert. Bei einer Galerieausstellung ist die Erwartung ganz klar die, dass sich etwas verkauft. Wenn das gar nicht passiert, sind beide Seiten enttäuscht. Ich arbeite zum Glück mit Menschen, die mir keinen zusätzlichen Druck machen und Vertrauen in mich und meine Arbeit haben.

 

 

© Marta Vovk   Marta Vovk, VEGESACK NAZI BOYS, 2021, Lack auf Sperrholz, 5 Objekte, 80 - 140 cm

Daniel Bonaudo-Ewinger

Man muss vorsichtig sein, dass man nicht in ein Hamsterrad der Selbstausbeutung gerät. Deshalb finde ich es gut, wenn der Kunstbetrieb etwas entzaubert wird und die Leistungen von Künstler*innen sichtbarer und gerechter entlohnt werden.

Kunst ist für mich nichts, was im luftleeren Raum passiert, und ich muss immer wieder neu ausloten, wie stark ich diese Aspekte ins Kunstwerk einfließen lassen möchte oder auch mal ganz wegschiebe und nur nach dem Gefühl gehe.

 

Marta Vovk

Für mich ist es wichtig, die inneren Vorgänge in Bezug auf Erwartungen genau zu beobachten und eventuellem inneren Drängen nach Kunstmarktgefälligkeiten nicht immer nachzugeben.

 

Autarkie kann immer nur ein Ideal sein, nie die Realität.

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