Anschieben oder ausbremsen: Welche Faktoren beeinflussen das künstlerische Handeln?

Wie sehen gute Arbeitsbedingungen aus? Wie steht es um Stipendienangebote für Eltern? Was bremst die künstlerische Laufbahn aus? Gespräch mit Birte Endrejat.

Birgit Effinger

Deine Zeichnungen zeigen die Vielzahl der verschiedenen Aktivitäten des künstlerischen Handelns. Was war der Auslöser für diese Werke?

 

Birte Endrejat

Ich sprach mit meinem Künstlerkollegen Joshua Schwebel verschiedentlich über alle Bestandteile eines Kunstwerks. Ausgangspunkt waren Arbeiten, die wir in Ausstellungen gezeigt hatten und die auf den ersten Blick nicht als Kunst zu erkennen gewesen waren, weil sie entweder mit einer Situation oder dem bezugnehmenden Kontext stark verwoben sind. Joshua hatte mich um einen Beitrag in einer Publikation gebeten. Die Zeichnungen sollten diese unsichtbaren Faktoren fassbar machen. Die Kunstproduktion ist sehr fragil und extrem abhängig von ihrem Umfeld. Es gibt mehrere Filter, an denen eine Arbeit scheitern kann, und viele unsichtbare Faktoren, die ein Kunstwerk bedingen.

 

 

© Birgit Effinger   Birte Endrejat, Fig.1, Visible and invisible parts of my artistic work (to be completed), 2015

Diese Zeichnungen erinnern mich immer wieder an das System, in dem ich mich bewege. Mit dem Titelzusatz „(to be completed)“ halte ich gedanklich etwas offen und betone, dass das Diagramm meine aktuelle Perspektive ist. Dabei können Teile dazukommen und die Zeichnungen erweitern. Der Zusatz ist auch eine Aufforderung zum Weiterdenken.

 

Birgit Effinger

Die Bedingungen des künstlerischen Handelns sind keineswegs stabil. Insofern sind die Filter und Faktoren, von denen du sprichst, auch immer vielfältig und unterschiedlich. Was hat es mit den unsichtbaren Faktoren auf sich?

 

Birte Endrejat

Ich bin nicht sicher, ob diese Faktoren tatsächlich unsichtbar sind oder ob sie nicht vielmehr durch Verschweigen unsichtbar gemacht werden. Es gibt auf jeden Fall individuelle Faktoren, die ich in Zeichnung fig1 fassen wollte. Das sind Faktoren, die eine Produktion und den Kreationsmodus stützen, etwa Recherche oder ergebnisoffene Experimente, in denen eher Neugierde im Spiel ist.

 

 

Es gibt freilich auch Faktoren, die den Prozess behindern, wie Zeitmangel wegen eines Jobs, Ausfall der Kinderbetreuung oder das Verwerfen einer Idee, an der man arbeitet.

Wenn etwas sichtbar wird, hat es diese Faktoren überwunden. Dann kommen die Filter, die wesentlich bestimmen, wie sichtbar ein Werk wird. Die Filter können auch bereits im Vorfeld wirksam werden, wie die Einladung eine*r Kurator*in, im besten Falle in Kombination mit einem Produktionsbudget oder einem Ausstellungshonorar. Das sind gute Voraussetzungen für die Produktion von Kunst. Bei einer Einladung kommen weitere Faktoren hinzu wie ein Thema oder der Ort, an den ich mit meiner Arbeit andocke, oder der zeitliche Rahmen. Ich habe dieses Modell entwickelt, um mir meines eigenen Prozesses bewusster zu werden. In der Praxis gibt es sicherlich viele Überschneidungen.

 

Birgit Effinger

So zeigt fig 1 auch die Bedingungen des künstlerischen Handelns auf. Denn die sind zunächst ja tatsächlich unsichtbar, weil faktisch nicht dezidiert in einem Werk visualisiert. Und dennoch sind gerade diese Faktoren und Bedingungen so ausschlaggebend für das künstlerische Tun.

 

Birte Endrejat

Unbedingt. So brauche ich ungestörte Zeit, um mich in Prozesse zu vertiefen. Mal eben eine Stunde Kunst machen, dann zum Brotjob rennen und um vier Uhr das Kind aus der Kita holen, funktioniert für mich leider nicht.

 

Deshalb achte ich zum Beispiel bei Stipendienausschreibungen und Deadlines für Wettbewerbe auch sehr genau auf die Details. Die können zum Fallstrick werden.

Ich habe in letzter Zeit immer wieder Ausschreibungen für Aufenthaltsstipendien mit Kind gesehen und mich darüber gefreut. Ich kenne national und international nahezu keine Stipendien für Künstlereltern. Bei genauem Lesen oder Nachfragen hat sich dann häufig herausgestellt, dass eine Kinderbetreuung vor Ort nicht vorgesehen ist. Damit nützt mir dieses ganze Stipendium recht wenig, wenn ich mein Kind rund um die Uhr betreuen oder eine Betreuungsperson auf eigene Kosten mitbringen muss.

 

 

Birgit Effinger   Birte Endrejat, Fig.2, Endless circle of artistic production (to be completed), 2015

Aktuell bewerbe ich mich bei KiöR-Ausschreibungen und werde auch eingeladen – dank der Datenbank des BBK Berlin, in die ich aufgenommen wurde. Ich habe dieses Jahr bei einem offenen Wettbewerb mitgemacht, bei dem die Deadline am letzten Tag der Berliner Sommerferien war. Die Hauptarbeitsphase wurde also für einen Zeitraum geplant, in dem ganz offensichtlich niemand eine Kinderbetreuung hat. Diese Zeitplanung findet nach zwei Jahren Pandemie statt, in der Eltern monatelang ihr(e) Kinder zu Hause betreuten und gegenüber Künstlerkolleg*innen ohne Kind dezidiert im (Produktions-)Nachteil waren.

 

Birgit Effinger

Die Vereinbarkeit von Kunst, Kind und Karriere wird wie in allen anderen Branchen nicht mitgedacht beziehungsweise nicht gefördert. Freilich gibt es in puncto Infrastruktur ganz konkret eine weitere Einnahmequelle wie die VG Bild-Kunst. Die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst ist ein Kind des deutschen Urheberrechts und unter Künstler*innen und Verwerter*innen zum Teil umstritten, weil dann berechtigte Kosten entstehen, um Künstler*innen an der Verwertung ihrer Bilder zu beteiligen. Wie siehst du das?

 

Birte Endrejat

Es ist erstaunlich, wie viele Künstler*innen befürchten, dass eine Mitgliedschaft in der VG Bild-Kunst Nachteile bringt, weil dann Abbildungen schneller aus dem Netz verschwinden könnten oder Arbeiten nicht in Katalogen abgedruckt werden.

 

Ich möchte zu einem gemeinsamen, solidarischen Weg aufrufen: Lasst uns alle in die VG Bild-Kunst eintreten!

Erst neulich bedankte sich eine Freundin bei mir, als sie bei ihrer ersten Jahresausschüttung circa 500 Euro bekam, nachdem sie jahrelang gehadert hatte. Meine Erfahrung ist grundsätzlich positiv: Ich bekomme nach den Meldungen zu Ausstellungen, Publikationen und Webseiten meine Ausschüttung zeitversetzt auf mein Konto. Die Verteilung der Abgaben wird dank aktiver Gremien nachjustiert und aktuellen Ausstellungssituationen angepasst. Zudem habe ich Rechtsberatung und Rechtsbeistand in Sachen Bildverwertung. Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, warum sich Kolleg*innen bewusst gegen eine Wahrnehmung ihrer Rechte und Tantiemen entscheiden.

 

 

Ich kenne tatsächlich niemanden, dem es genützt hätte, nicht in der VG Bild-Kunst zu sein.

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